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In der Heile Entgiftung
Der Entzug in Wehnen war mein dritter, aber erster Zwangsentzug. Das Programm war immer dasselbe. Stufe Eins: Entgiftung im verschlossenen Wachsaal. Stufe Zwei: Raus aus dem Wachsaal auf die Stationsflure. Der Wachsaal bestand aus einem Schlafsaal, einem Tagesraum und dem Überwachungsraum. Durch ein großes Fenster überwachten die Pfleger 24 Stunden lang alle Patienten. Diese waren aus allen möglichen Schichten. Alkoholiker, Drogensüchtige und Zwangs eingewiesene psychisch kranke Menschen. Da gab es auch einige die am Bett angeschnallt waren. Wie die Alkoholiker, welche im Delirium waren, was durchaus auch tödlich enden konnte. Oder stark unruhige Menschen mit schweren Geistesstörungen. Aber auch neu eingelieferte Drogensüchtige wie ich. Ich war auch am Bett zur meiner eigenen Sicherheit angeschnallt. Nun wird der Körper entgiftet und das gefiel im überhaupt nicht. Eigentlich sind es zwei entgiftungen körperlich und seelisch,
die gleichzeitig wie gemischt in mir waren. Wobei die seelische sich überhaupt nicht zu verändern schien. Sie war immer gleich gegenwärtig. Sie schien auch die Herrscherin über alle anderen zu sein. Ihre Anforderungen waren unbarmherzig sie verstand nur eine Sprache und hatte ein unstillbaren Hunger. Und genau dieser unstillbare Hunger was wie ein ausbrennen meiner Seele. Unter diesem Gewicht fordert auch der Körperliche Entzug sein Tribut. Diesem konnte aber mit Medikamenten teils entgegen gewirkt werden. Im einzelnen lassen sich die seelischen und körperlichen Schmerzen nicht trennen. Sie ergänzen sich nur in ihren Forderungen.
Diese Intensivzeit läuft nur unter ärztlicher und pflegerischer Überwachung ab. Aber irgendwann hatte ich, zumindest den Körperlichen Entzug überstanden, wenn auch noch mit langer begleitender Schwäche. Nach dieser Zeit durfte ich in den Tagesraum. Das war ein ersehnter Wechsel. Der Tagesraum war ein großer, länglicher Raum mit einer großen Fenster Seite, sowie Tischen und Stühlen. Hier saßen wir und nahmen auch unser Essen ein. Mit Brett- und Kartenspielen wurde die Zeit vertrieben. Eine angenehme Abwechslung war die Stunde beim Arzt. Dieser erkundigte sich ausführlich bis dato über mein bisheriges Leben. Das war ein gutes Gefühl, wenn jemand nach dir fragt. Wenn dies auch nur dem Gutachten diente, welches für die spätere Zeit die Weichen stellen sollte. Schritt für Schritt kam immer mehr Abwechslung in den Tagesablauf. Wäscheklammern anfertigen war nun eine neue Abwechslung. Ich erinnere mich, dass ich zu
dieser Zeit immer noch sehr schwach war. Ich schaffte nur wenige Klammern. Immer noch musste ich von Zeit zur Zeit meinen Kopf stützen. Das Ganze war auch nur als eine Beschäftigungstherapie gedacht. Zu dieser noch vorhandenen Schwäche war immer noch eine sehr große Leere in mir. Der wirkliche Riese aber schlief nur. Eines Tages fragte der Arzt, was bis jetzt die schönste Zeit im Leben für mich gewesen sei. Ich wollte zu dieser Frage auf keinen Fall ein Schauspiel abgeben. Auch dem Drogenabhängigen entgeht nicht, dass sein Leben auf einem unwirklichen Boden steht, ohne Bindung an Tatsachen und Wahrhaftigem. Mein Verlangen wahr daher jetzt wenigstens einmal ehrlich zu sein. Somit sagte ich, „die Drogenzeit war das Schönste“ Entsprechend fiel das Gutachten ungünstig für mich aus, was ich aber erst später beim Gericht erfuhr.
Auf der Flucht
Nach einer gewissen Zeit lockerte sich die Behandlung, in dem wir kleine Tagesbeschäftigungen erledigen durften. Meine Beschäftigung bestand aus Milch holen. Das bedeutete, mit einem Pfleger einmal aus dem Haus raus über das Gelände zur Küche gehen um dort die Frühstücksmilch abzuholen. Das klappte auch immer ohne jegliche Schwierigkeiten. Ich hatte eigentlich keinen festen Plan gehabt zu fliehen, aber die zunehmenden Freizügigkeiten meines Begleitpflegers legten mir diese Absicht zu Füßen. Ich war einige Male für eine kurze Zeit bei diesen Milchgängen alleingelassen. Eines Tages wollte die diese Gelegenheit nutzen und ich lief einfach zum Haupttor los. Um nicht aufzufallen ging ich kurz davor mit festem Schritt, wie ein Gast, einfach durch. An der Hauptstraße angekommen, erkundigte ich mich, welcher Bus in Richtung Oldenburg fuhr. Ich war selbst über meine gelungene Flucht erstaunt, dass diese so einfach war. Ich dachte, dann könnte auch der Rest mit ein wenig Glück klappen. In Lemwerder angekommen ging ich schnell auf den Dachboden über meiner Wohnung. Hier musste doch die lose Planke zu meinem Geheimdepot sein. Ich war erstaunt, dass Fach war leer.
Entweder bildete ich mir das nur ein, da noch Drogen gehabt zu haben, oder die ehemaligen Kumpels hatten es geplündert. Nun holte mich die Tatsache meiner Situation ein. Hier zeigte sich, wie sehr meine innerliche Leere von meinen Kumpels und den gewohnten Abläufen bestimmt war und ich darin die Erfüllung suchte. So schnell bist du wieder in der gleichen Situation wie früher. Als hätte sich da nichts geändert. Das war ein Gemisch aus Freiheitsdrang, Angst und sehr viel innerlicher Ruhelosigkeit. Ob ich nun wieder Drogen nehmen wollte oder nicht, diese Entscheidung stelltes ich nicht. Ich brauchte meinen Frieden und das bestimmte meinen Tagesablauf. Ich fuhr schnell zu der Bank, holte mein restliches Geld ab, worüber ich mich auch wieder wunderte, das ging so als wenn nichts gewesen wäre. Darauf hin fuhr ich nach Bremen und suchte meine Kumpels, was gleichbedeutend mit Rauschgift war. Die Flucht, Geld besorgen, nach Bremen fahren, das alles verlief wie das normale Leben; aber meine Kumpels konnte ich nicht auftreiben. Obwohl die Flucht gelungen war, das Ziel aber weit verfehlt. Es war mir als säße ich in einer Falle! Ich konnte nicht mehr zurück- nur noch vorwärts. Ich musste auf jeden Fall raus aus dieser Situation denn der innerliche Schmerz stieg mit jeder unerfüllten Stunde an. Ich beschloss, nach Amsterdam zu fahren.
Hier gab ich über die Zeit all mein Geld für Drogen aus. Als ich keins mehr hatte, versuchte ich in ein Methadonprogramm (ein kontrollierter Ersatz für Drogenabhängige) zu kommen. Doch wahrscheinlich war ich auf einer Fahndungsliste. Kurz um, ich wurde wieder verhaftet und in ein grenznahes Gefängnis gebracht. Wieder war der Zustand, mit mir selbst in einem eingeschlossenen Raum zu sein unerträglich. Dann doch lieber wieder ins Krankenhaus nach Oldenburg. So beschloss ich an meiner Pulsader rum zu schnippeln. Das sollte die Überführung sicher, und schneller vorantreiben. So kam es dann auch. „Oldenburg, du hast mich wieder!“